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Mi, 11.Dez 2024, 15:00 Uhr bis 17:00 Uhr (Gemeindehaus Drabenderhhe)Frauenkreis
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Von Hilmar Kranenberg im Bereich Kirche.

Liebe Gemeinde,

der für den heutigen Sonntag vorgeschlagene Predigttext könnte das Drehbuch für den ersten Teil einer mehrteiligen Fernsehserie sein. Aber kein Krimi oder Thriller, sondern eine Familiensaga, also eher etwas fürs Herz, wie es so schön heißt. Es ist der Beginn des Buchs Rut und deutlich länger als die meisten anderen Predigttexte:

Es war die Zeit, als das Volk Israel noch von Richtern geführt wurde. Weil im Land eine Hungersnot herrschte, verließ ein Mann aus Betlehem im Gebiet von Juda seine Heimatstadt und suchte mit seiner Frau und seinen zwei Söhnen Zuflucht im Land Moab. Der Mann hieß Elimelech, die Frau Noomi; die Söhne waren Machlon und Kiljon. Die Familie gehörte zur Sippe Efrat, die in Betlehem in Juda lebte. Während sie im Land Moab waren, starb Elimelech und Noomi blieb mit ihren beiden Söhnen allein zurück. Die Söhne heirateten zwei moabitische Frauen, Orpa und Rut. Aber zehn Jahre später starben auch Machlon und Kiljon, und ihre Mutter Noomi war nun ganz allein, ohne Mann und ohne Kinder. Als sie erfuhr, dass der Herr seinem Volk geholfen hatte und es in Juda wieder zu essen gab, entschloss sie sich, das Land Moab zu verlassen und nach Juda zurückzukehren. Ihre Schwiegertöchter gingen mit. Unterwegs sagte sie zu den beiden: »Kehrt wieder um! Geht zurück, jede ins Haus ihrer Mutter! Der Herr vergelte euch alles Gute, das ihr an den Verstorbenen und an mir getan habt. Er gebe euch wieder einen Mann und lasse euch ein neues Zuhause finden.« Noomi küsste die beiden zum Abschied. Doch sie weinten und sagten zu ihr: »Wir verlassen dich nicht! Wir gehen mit dir zu deinem Volk.« Noomi wehrte ab: »Kehrt doch um, meine Töchter! Warum wollt ihr mit mir gehen? Habe ich etwa noch Söhne zu erwarten, die eure Männer werden könnten? Geht, meine Töchter, kehrt um! Ich bin zu alt, um noch einmal zu heiraten. Und selbst wenn es möglich wäre und ich es noch heute tun würde und dann Söhne zur Welt brächte – wolltet ihr etwa warten, bis sie groß geworden sind? Wolltet ihr so lange allein bleiben und auf einen Mann warten? Nein, meine Töchter! Ich kann euch nicht zumuten, dass ihr das bittere Schicksal teilt, das der Herr mir bereitet hat.« Da weinten Rut und Orpa noch mehr. Orpa küsste ihre Schwiegermutter und nahm Abschied; aber Rut blieb bei ihr. Noomi redete ihr zu: »Du siehst, deine Schwägerin ist zu ihrem Volk und zu ihrem Gott zurückgegangen. Mach es wie sie, geh ihr nach!« Aber Rut antwortete: »Dränge mich nicht, dich zu verlassen. Ich kehre nicht um, ich lasse dich nicht allein. Wohin du gehst, dorthin gehe ich auch; wo du bleibst, da bleibe ich auch. Dein Volk ist mein Volk und dein Gott ist mein Gott. Wo du stirbst, da will auch ich sterben; dort will ich begraben werden. Der Zorn des Herrn soll mich treffen, wenn ich nicht Wort halte: Nur der Tod kann mich von dir trennen!« Als Noomi sah, dass Rut so fest entschlossen war, gab sie es auf, sie zur Heimkehr zu überreden. So gingen die beiden miteinander bis nach Betlehem. (Rut 1,1-19)

Es beginnt als eine Flüchtlingsgeschichte. Wegen einer Hungersnot verlässt Elimelech aus Bethlehem seine Heimat und zieht mit seiner Frau Noomi und seinen beiden Söhnen ins Nachbarland Moab. Dort bleiben sie und werden sesshaft. Doch ganz ohne Tragik geht das in dieser Erzählung nicht. Elimelech stirbt. Seine Söhne wachsen heran und heiraten Frauen aus dem Land, Orpa und Rut. So etwas nennt man wohl gelungene Integration. Einige Jahre darauf sterben auch die Söhne, anscheinend ohne dass sie bis dahin eigene Kinder hatten. Vor allem keine Söhne. Das ist in einer Gesellschaft, in der die Frauen nur wenig zu sagen hatten, sehr wichtig. Noomi ist nun nahezu rechtlos. Dazu kommt noch, dass die Altersvorsorge der Familie die Kinder waren, vor allem die Söhne, welche sich um die alt gewordenen Eltern kümmern mussten. Also beschließt sie, wieder zurück in ihre alte Heimat zu gehen, wo sie noch einige Verwandte hat. Den verwitweten Schwiegertöchtern rät sie, zurück zu ihren Eltern zu gehen. Bestimmt fänden sie dort einen Mann für eine zweite Ehe. Ihre Zukunft bei Noomi wäre sehr ungewiss. Denn Noomi hat keine weiteren Söhne. Darum geht die alte Tradition, dass beim frühen Tod des Partners ein jüngerer Bruder, beziehungsweise eine jüngere Schwester geheiratet wird, in diesem Fall nicht. Orpa nimmt diesen Rat an und kehrt nach tränenreichem Abschied zurück, Rut hingegen bleibt bei Noomi. Die beiden Frauen machen sich auf und ziehen nach Bethlehem.

An diesem Punkt endet unser Predigttext und sozusagen auch der erste Teil der mehrteiligen Serie. Wenn Sie wissen wollen, wie es weitergeht mit Rut und Noomi schlagen Sie doch einfach die Bibel auf. Das ganze Buch Rut hat nur vier Kapitel, das kann man in einer guten Viertelstunde lesen.

Wie gesagt: Man kann diese Geschichte als Teil einer tragischen Familiensaga hören. Dann wird hier erzählt, wie die Familie über Generationen hinweg ihren Weg geht, allen tragischen Todesfällen trotzt und es irgendwie schafft zu überleben. Auch die Liebe kommt später ins Spiel, wie sich das für eine Familiensage gehört. Man kann die Geschichte auch als eine Erzählung von zwei starken Frauen hören. Noomi und Rut gehen mutig alleine ihren Weg in einer Gesellschaft, in der Frauen ohne männliche Familienangehörige sonst ein schlimmes Schicksal droht. Entweder werden sie Bettlerinnen oder sie müssen sich prostituieren, um zu überleben. Doch diese zwei wagen den mühsamen Weg zurück nach Bethlehem, in der Hoffnung dort unter besseren Umständen zu leben und zu überleben.

Schließlich kann man die Geschichte aber auch als Flüchtlingsgeschichte hören: Elimelech zieht mit seiner Familie aus der Hungsernot in Bethlehem nach Moab, in der Hoffnung dort zu überleben und eine bessere Zukunft zu finden. Und ebenso zieht Noomi mit ihrer ebenfalls verwitweten Schwiegertochter Rut gut ein Jahrzehnt später aus Moab nach Bethlehem, weil sie sich dort mehr Sicherheit und somit eine bessere Zukunft erhoffen. Heute würde man so etwas vermutlich Wirtschaftsflüchtlinge nennen. Menschen, die aus der Not und dem Elend ihrer Heimat unter oft schwierigen Umständen in ein anderes Land ziehen, weil sie sich dort eine Zukunft erhoffen. Das ist nichts Neues, das gab es schon immer. Nehmen Sie die Siebenbürger, deren Vorfahren vor mehreren Hundert Jahren doch nicht aus Abenteuerlust den langen gefahrvollen Weg nach Osten gewagt haben, sondern weil sie sich dort ein besseres Leben erhofften. So ähnlich war es auch mit den Deutschen, die sich vor gut 200 Jahren an der Wolga in Russland ansiedelten. Und viel anders war es auch bei den meisten Auswanderern nach Amerika nicht. Sie alle hofften auf ein besseres Leben in der Fremde, für sich und oft auch für ihre Familien.

In unserer Geschichte kann man den Flüchtlingen noch nicht einmal mangelnden Integrationswillen vorwerfen: Elimelech und seine Familie waren bereit, sich in der Fremde zu integrieren, sie zu ihrer neuen Heimat werden zu lassen. Man sieht es daran, dass beide Söhne Moabiterinnen geheiratet haben. Und genauso ist auch die Moabiterin Rut zur Integration bereit: Dein Volk ist mein Volk und dein Gott ist mein Gott.

Flüchtlinge gab es in der Geschichte der Menschheit wohl schon immer. Ob man nun aus Lebensgefahr oder wirtschaftlicher Not in ein anderes Land zog, weil man wegen seiner Meinung persönlich verfolgt wurde, weil man vor Krieg floh um wenigstens das Leben zu retten oder weil man zu einer religiösen oder ethnischen Minderheit gehörte, die bedroht wurde. Es gab und gibt viele Gründe die Heimat zu verlassen. Manchmal war es auch keine Flucht, sondern Vertreibung, die Unterschiede sind da nicht immer so deutlich. Und manchmal nennt man die Flucht Auswanderung, auch da sind die Grenzen nicht immer so klar.

Doch wo setzen wir die Grenze zwischen dem, was wir akzeptieren und dem, wo viele die Leute am liebsten wieder dorthin zurückjagen wollen, wo sie herkommen? Ist der Millionär, der seinen Wohnsitz nach Monaco verlegt weil er dort weniger Steuern zahlen muss, nicht auch ein Wirtschaftsflüchtling? Oder gilt diese Bezeichnung nur für Menschen, die arm sind? Was ist mit dem Araber oder Iraner, der nach Deutschland kommt weil er gerne getauft werden will, was in seinem Heimatland schlimmstenfalls zu seiner Hinrichtung führen kann? Oft wird diesen Menschen unterstellt, das sei doch nur ein vorgeschobener Grund und in Wirklichkeit wollten sie von unseren Sozialsystemen profitieren. Oder nehmen Sie als Beispiel einen jungen Forscher, der nach seinem hervorragend abgeschlossenen Studium an einer deutschen Universität in den USA zieht, wo er deutlich mehr verdient, genauso wie die Ärztin, die ihre Praxis hierzulande schließt weil der Verdienst in der Schweiz besser ist. Ist das nicht auch eine Form der Flucht aus wirtschaftlichen Gründen? Wohl eher nicht, würden wir sagen. Vielleicht auch, weil wir es genauso machen würden. Doch wenn wir die Auswanderung aus unsrem Land wegen besserem Verdienst anderswo gutheißen, aber die Einwanderung in unser Land aus dem gleichen Grund nicht, dann messen wir mit zweierlei Maß.

Aber zurück zu der Geschichte von Rut und Noomi! Ein Wort, das nach unserem Verständnis gut in diese Erzählung passen würde, kommt überhaupt nicht vor. Nicht ein einziges Mal! Es ist das Wort Fremd. Anscheinend ist das für die Menschen, welche diese Erzählung niederschrieben, nicht so wichtig. Ob Noomi mit ihrer Familie sich im Land Moab niederlässt, ob Rut mit ihrer Schwiegertochter nach Bethlehem zieht, um dort zu bleiben: Dass sie dort Fremde sind, nicht zu den Alteingesessenen gehören, wird nicht weiter erwähnt. Wer die Geschichte liest weiß das natürlich, aber es ist nicht der Rede wert. Da kommen Menschen, die woanders in Not sind und sie dürfen kommen. Niemand regt sich darüber auf, niemand stellt ihre Integrationswilligkeit von Vornherein in Frage, niemand befürchtet Überfremdung, den Untergang des eigenen Volkes oder ähnliches. Zumindest wird davon nichts erzählt. Aber wenn es deshalb größere Probleme gegeben hätte, könnten wir bestimmt davon lesen.

Vielleicht haben Sie ja noch den Wochenspruch aus dem Lukasevangelium im Ohr, mit dem wir unseren Gottesdienst begonnen haben: „Es werden kommen von Osten und von Westen, von Norden und von Süden, die zu Tisch sitzen werden im Reich Gottes.“ Es geht um diejenigen, die kommen. Sie kommen von überall her und teilen miteinander den Tisch im Reich Gottes. Ja, die Bibel spricht öfters von Völkern und auch von den Unterschieden zwischen den Völkern. Sie bestreitet nicht, dass die Menschen im Laufe der Jahrtausende unterschiedliche Sprachen und Traditionen entwickelt haben, dass sie verschiedene Götter verehren. Doch sie errichtet daraus keine trennenden Mauern, sondern die Menschen, die Völker, werden zusammengebracht, nicht getrennt. Ob Noomi und Rut aus unserer Geschichte, die sich ohne große Probleme im Land der jeweils anderen niederlassen dürfen, ob die Sippe von Jakob, welche sich in Ägypten ansiedelt oder die bunt gemischten frühen christlichen Gemeinden, von denen wir in den Paulusbriefen lesen. Auch für Jesus ist der verbindende Glaube viel wichtiger als all das Trennende, seien es jetzt Kanaanäerinnen, Römer oder Samaritaner. Der Glaube ist es letzten Endes, der sie eint, das geht schon bei Rut los: Dein Volk ist mein Volk und dein Gott ist mein Gott.

Am kommenden Mittwoch gedenken wir der Befreiung des Konzentrationslagers Auschwitz vor 76 Jahren. Damit sollen wir uns erinnern was geschehen kann, wenn man die Grenzen zwischen Völkern und Religionen zu sehr betont. Dann wird der Andersgläubige oder die Fremde nicht mehr als Mensch angesehen, kann bedenkenlos umgebracht werden wie ein überzähliges Stück Vieh. Schlimm, dass so etwas noch im 20. Jahrhundert durch das angeblich kulturell so hochstehende Volk der Dichter und Denker geschah, schlimm, dass es im Lauf der Menschheitsgeschichte nicht der einzige Versuch war, ein Volk oder eine Religion auszurotten – anscheinend gibt es zu viele Menschen mit abgrundtiefem Hass auf andere. Und schlimm wenn es viele gibt, die daraus nicht gelernt haben, sondern auch heute noch menschenverachtende Sprüche kloppen oder Bilder verbreiten. An Albert Einsteins berühmtem Spruch über die Unendlichkeit der menschlichen Dummheit scheint viel Wahres zu sein.

Wir Christinnen und Christen aber sollten stets die biblischen Geschichten im Sinn haben. Auch Menschen aus anderen Völkern, mit anderen Glaubenserfahrungen werden aufgenommen in Gottes Volk. Und manche spielen sogar eine wichtige Rolle: Wenn man das Buch Rut weiterliest entdeckt man, dass Rut die Urgroßmutter des Königs David wird. Und David wiederum, so sagt es der ausführliche Stammbaum Jesu im Matthäusevangelium, ist ein Vorfahre Jesu. Ohne Rut also kein Jesus, kein Weihnachten, kein Ostern, keine Vergebung unserer Sünden durch Gott. Wie gut für uns, dass die Ausländerin Rut nach Bethlehem kommen durfte, um sich dort niederzulassen und heimisch zu werden!

Schlagworte: predigt

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  • Zuletzt geändert: 21.11.2022 15:20
  • von Manuel Krischer